Interaktiv auf der Flugbahn
Leonardos größter Traum war es, fliegen zu können. Eine seiner Ideen dazu, die Flugspirale, ist ein Vorläufer des Helikopters. Im Europa-Park wurde diese jetzt doch noch Realität – mit der Familienattraktion „Volo da Vinci“. Ausgangs- und Endpunkt ist das Atelier da Vincis, wo der Meister die Besucher persönlich begrüßt und ein Sammelsurium interaktiver Modelle und Konstruktionen ausgestellt ist. Dort steigt der Besucher ein, in die der Flugspirale nachempfundenen Gondeln, um auf einem 300 Meter langen schienengeführten „Rundflug“ in rund sieben Metern Höhe über den italienischen und deutschen Themenbereich hinwegzuschweben. Weil es damals noch keine Motoren gab, ist auch heute die Muskelkraft der Passagiere als additive Antriebskraft gefragt. Bis zu vier Personen passen in eine Gondel: Wer kräftiger in die Pedale tritt, kommt auch schneller voran. Dazu wird die Grundgeschwindigkeit (0,6 m/s) abhängig von der Tretintensität stufenlos zwischen 1,2 m/s und 1,8 m/s erhöht beziehungsweise wieder reduziert. Spätestens dabei stellt sich heutzutage die Frage nach der Sicherheit: wie können Kollisionen und Schäden unter allen denkbaren Umständen verhindert werden?
Fehlersichere Automatisierung und IWLAN-Kommunikation
Den Fahrspaß realisiert, hat der Hersteller ETF Ride Systems aus Nederweert, Niederlande. Die Flugbahn ist nahezu durchgängig mit Technik von Siemens automatisiert. Das Automatisierungs- und Sicherheitskonzept wurde gemeinsam mit dem Betreiber, Hersteller, sowie TÜV erarbeitet.
Hauptsteuerung ist eine Profinet-fähige, fehlersichere SPS Simatic S7-300F, die sich im zentralen Schaltschrank des Technikraums im Bahnhof befindet. Diese kommuniziert über ein Industrial Wireless LAN-System (IWLAN) drahtlos und fehlersicher mit den mitfahrenden Steuerungen Simatic ET 200S und Antrieben der Gondeln. Dazu sind über einen managed Switch, Industrial Ethernet FastConnect Modular Outlets und Hybridkabel verschiedene IWLAN Access Points auf der Strecke an die Hauptsteuerung angebunden. Entlang der gesamten Fahrstrecke sind unterschiedlich lange Antennensegmente aus RCoax-Kabeln verlegt. Diese sogenannten Leckwellenleiter strahlen das Funksignal in einem definierten Bereich aus, was Störmöglichkeiten minimiert.
Gegenstück in dezentralen Schaltkästen an den Gondeln sind IWLAN Clients mit Rundstrahlantennen, die in kurzem Abstand am RCoax-Kabel entlang fahren. Von den Antennen ist immer mindestens eine im Einsatz und der Client wählt automatisch, ohne Unterbrechung, immer diejenige mit dem besseren Signal aus. So ist auch an Segmentübergängen oder beim Durchfahren der Ausschleusweiche. im Bahnhof unterbrechungsfreie Kommunikation gewährleistet.
Die Position der Gondeln auf der Fahrstrecke wird über Codeleser erfasst und via Profinet und IWLAN zur zentralen Sicherheitssteuerung übertragen. Diese prüft die Werte auf Plausibilität, überwacht die vorgegebenen Mindestabstände und initiiert via Profinet und Profisafe-Profile bei Bedarf die vorgeschriebenen Sicherheitsmechanismen. Zentral überwacht werden zudem die maximale Fahrgeschwindigkeit sowie die Fahrtrichtung. Über Schleifleiter gespeiste Sitop-Netzteile von Siemens versorgen die Ausrüstung der fahrenden Gewerke zuverlässig mit Strom.
iFeatures für schnellste Übergaben und durchgängige Sicherheit
Voraussetzung für durchgängige Echtzeitkommunikation und damit die Zulassung für sicherheitsrelevante Anwendungen ist vor allem die iPCF-Fähigkeit der IWLAN Access Points und Clients. Dieses iFeature – also eine Funktion speziell für den industriellen Einsatz – nutzt die sogenannte industrial Point Coordination Function und realisiert innerhalb von maximal 16 Millisekunden eine nahtlose Übergabe der mobilen Clients zwischen zwei Access Points. Das ist angesichts der geringen Fahrgeschwindigkeiten von maximal 1,8 m/s mehr als ausreichend. Damit lassen sich die Gondeln bei einem Unterschreiten des vorgegebenen Mindestabstands einfach abbremsen beziehungsweise beim Unterschreiten des sicherheitsrelevanten Blockzonenabstands, zum Beispiel beim Ausfall einer Gondel, anhalten, um Personen- und Sachschäden sicher zu vermeiden. So erfüllt das Gesamtsystem den vom TÜV vorgeschriebenen Safety Integrity Level SIL3 gemäß IEC 61508.
Über die beschriebene IWLAN-Infrastruktur besteht eine zuverlässige Verbindung von der Hauptsteuerung zu den mitfahrenden Steuerungen. Als solche wurden durchwegs Interfacemodule in der Aufbauform des dezentralen Peripheriesystems mit fehlersicherer CPU ausgewählt und in kleine Schaltkästen montiert. Einfache Integration und schnellste Kommunikation unter allen Steuerungen ermöglicht die Profinet-Funktion i-Device, womit jede dezentrale Steuerung sowohl Profinet I/O-Controller als auch Profinet I/O-Device sein kann. Angetrieben und bei Bedarf sicher stillgesetzt werden die Gondeln über dezentrale Frequenzumrichter mit fehlersicherer Regelungsbaugruppe. Daran angeschlossen sind die Motoren für den Antrieb des Fahrwerks und ein weiterer für die Drehbewegung des Spiralrotors.
Der fehlersichere Frequenzumrichter integriert unter anderem die Sicherheitsfunktionen Safe Torque Off, STO (Sicher abgeschaltetes Moment) und Safe Stop 1, SS1 (Sicherer Stopp 1). Damit lassen sich die geforderten Sicherheitsmechanismen bei einem Ausfall der IWLAN-Kommunikation auch lokal sehr schnell umsetzen. Über STO wird beim Ein- und Aussteigen der Passagiere ein Anlaufen des Antriebs rein elektronisch und damit kontaktfrei sicher verhindert. Die Sicherheitsfunktion SS1 überwacht das Stillsetzen des Gondelantriebs beim Unterschreiten des sicherheitsrelevanten Blockzonenabstands – das alles ohne Motorgeber oder Encoder und somit sehr kosteneffizient.
Initiiert wird das sicherheitsgerichtete Stillsetzen im Normalfall von der zentralen CPU. Fällt eine Gondel aus, werden alle anderen automatisch von der Zentrale aus angehalten. Sollte die IWLAN-Kommunikation ausfallen – was bisher noch kein einziges Mal vorgekommen ist – würden die dezentralen CPUs abschalten, bei Stromausfall greifen die Motorbremsen.
Ebenfalls vom Automatisierungsausrüster ist ein über Industrial Ethernet angebundenes Simatic Touch-Panel im Schaffnerhäuschen – dem Leitstand – zum Bedienen und Beobachten. Damit werden die Betriebszustände und Positionen der Gondeln im laufenden Betrieb angezeigt. Außerdem können damit auch einzelne Gondeln angewählt und gezielt verfahren werden, beispielsweise in den Wartungs-/Reserveplatz über die Weiche im Bahnhof und umgekehrt.
Störungsfrei von Anfang an
„Das neue und erste IWLAN-basierte Steuerungssystem im Europa-Park läuft seit der Inbetriebnahme der Volo da Vinci im vergangenen Sommer besser und stabiler als wir das bei der ersten Anwendung erwartet hätten“, sagt der Leiter Elektrotechnik, Markus Spoth. „Es gab von der Anlaufphase bis heute keinen einzigen auf die IWLAN-Technik zurückzuführenden Ausfall“, berichtet Spoth weiter, „weder bei höheren Außentemperaturen im Sommer, bei Nässe im Herbst, noch bei Kälte im Winter, so dass wir mit der Lösung und der Umsetzung sehr zufrieden sind.“ Sollte es doch einmal dazu kommen, ermöglicht der managed Switch schnellen Zugriff und komfortable Störungsdiagnose über Simatic Step 7. Unter anderem lässt sich der Zustand des Switches prüfen oder automatisiert ein Alarm senden, wenn etwa ein Stecker abgezogen wurde. Das Profinet-Device ist in den Steuerungsverbund integriert und hat eine eigene IP-Adresse. Damit sind auch ein Fernzugriff und Web Based Management etwa über VPN-Tunnel möglich, so dass sich eventuelle Störungen gemeinsam mit dem niederländischen Hersteller ETF Ride Systems schnell beheben lassen.